Wenn’s tropft: Tipps bei Inkontinenz

Ein Tabuthema, das mehr als eine halbe Million Menschen in der Schweiz betrifft ist Harninkontinenz. Eine Urologin ermuntert dazu, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen. Denn sehr oft findet sich eine erfolgreiche Therapie.

Beim Lachanfall entwischen ein paar Tropfen, beim Hochheben einer schweren Kiste ebenso, auch beim Niesen und Husten passiert es. Wenn wiederholt ungewollt ein paar Spritzer Urin in die Hose gehen, wird das lieber gleich wieder vergessen. «Aus Scham wenden sich Betroffene erst spät an eine Ärztin oder an einen Arzt», sagt Mirjam Bywater, Urologin am Kantonsspital Aarau und Co-Leiterin des Becken­bodenzentrums im Spital. Sie kennt die zu oft verschwiegenen Geschichten ihrer Patien­tinnen und Patienten – dabei sind diese nicht allein.

In der Schweiz leiden rund 500’000 Menschen an einer Harninkontinenz – wobei die Dunkelziffer vermutlich sehr hoch ist. Häufiger betroffen sind Frauen und ältere Menschen; jede dritte Seniorin leidet daran, bei den Senioren ist es jeder sechste.

Das stille Leiden hat viele Ursachen

«Frauen mit Inkontinenz haben oft einen durch Schwangerschaft und Geburt geschwächten Beckenbodenmuskel», sagt Mirjam Bywater und ergänzt: «in den Wechseljahren kann das sinkende Östrogen diesen weiter schwächen.» Die Folge: Bei Belastungen wie Niesen oder Rennen ist die Blase nicht (mehr) richtig gestützt und der Harn wird nicht mehr ganz zurückgehalten. Bei Männern tritt die Belastungs­inkontinenz häufig nach einer Prostataoperation auf. Eine überaktive Blase ist der zweithäufigste Grund für unkontrolliertes Tropfen – etwa wegen einer überempfindlichen Blasenwand. Hauptsymptom dieser sogenannten Dranginkontinenz ist Harndrang, der plötzlich auftritt und sich nicht zurückhalten lässt. Eine Reizblase kann auch durch neurologische Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Multiple Sklerose oder einen Schlaganfall verursacht werden, wenn Steuerzentren im Gehirn und Rückenmark nicht mehr richtig funktionieren. Auch psychosomatische Faktoren können die Ursache sein. Andere Formen der Inkontinenz sind eher selten. «Bei 20 Prozent der Frauen, die an Harninkontinenz leiden, wird eine Mischform von Belastungs- und Dranginkontinenz diagnostiziert», so Mirjam Bywater.

Training, Operation, Medikamente

Eine korrekte Diagnose ist wichtig, um die geeignete Therapie zu starten. Die Urologin sagt: «Das Training des Beckenbodens ist bei beiden Formen der Inkontinenz wirkungsvoll. Bei Belastungsinkontinenz kann in den Wechseljahren allenfalls das fehlende Östrogen ersetzt werden.» Nicht fehlen darf ein gesunder Lebenswandel, der wirkt auch präventiv. Das heisst:  abwechslungsreich essen, Übergewicht abbauen und sich regelmässig bewegen. «Aber eher beim Velofahren als beim Joggen», so die Ärztin (siehe Kasten). Bringt das keine Verbesserung, kommt allenfalls eine Operation infrage, bei der die Harnröhre stabilisiert wird.

Bei der Dranginkontinenz kann gezieltes Toilettentraining mit genauen Zeiten, wann man Wasser lösen darf, helfen.  «Auch Medikamente sind effektiv, um die überaktive Blasenmuskulatur zu dämpfen, oder eine gezielte, nicht schmerzhafte elektrische Stimulation von Nervenbahnen», so die Urologin.

Warum auch immer es tröpfelt, Mirjam Bywater und ihre Berufskolleginnen und -kollegen kennen wirkungsvolle Therapien, dies zu stoppen. Der Mut, die Urologin, den Hausarzt, die Gynäkologin anzurufen, ist der erste Schritt zur Besserung: «Für uns ist keine Patientengeschichte peinlich. Wir hören tagtäglich zahlreiche und können helfen. Ganz ohne Tabus.»

Bettina Jakob

 

So hilft die Apotheke

In Apotheken finden Betroffene spezielle Slipeinlagen oder Pants, die anatomisch gut passen, Geruch binden und Flüssigkeit aufsaugen. Einige Apotheken bieten auch eine Inkontinenzberatung an, selbstverständlich diskret.

TIPPS bei Inkontinenz

Beckenboden trainieren, insbesondere nach einer Geburt. Bei Beschwerden gezielte Physiotherapie.

Auf das Körpergewicht achten mit gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung.

Belastungen vermeiden wie schwere körperliche Arbeit oder Joggen. Radfahren, Schwimmen oder Nordic Walking sind schonender.

Richtig trinken: Flüssigkeitsmangel führt zu konzentriertem Urin, der die Blase reizen kann. Dabei nicht zu viel trinken. Idealerweise eineinhalb bis zwei Liter pro Tag.